Die Kolonie am schwarzen Weg

Als Ostfriesin ist mir Moordorf von klein auf ein Begriff. Ich erinnere mich auch an viele unschöne Gerüchte. Von diesen Vorurteilen in der Kindheit geprägt, hat mich das Dorf jahrelang nicht besonders Interessiert. Doch damit tat ich diesem schönen Fleckchen bei weitem Unrecht. „Kolonie am schwarzen Weg“ war der ursprüngliche Name für Moordorf, da es entlang eines alten Handels- und Postwegs zwischen Aurich und Marienhafe lag, der damals aufgrund der Bodenfärbung im Moor „schwarzer Weg“ hiess.

Entstehung Moordorfs
Erlass Urbarmachung ©Gemeinfrei
Erlass Urbarmachung

Die Geschichte Moordorfs begann im Grunde mit dem Erlass des Urbarmachungsediktes im Jahre 1765 durch König Friedrich II. Dieses Edikt erklärte Land, dessen Besitzrechte nicht geklärt waren, zu Staatseigentum, wodurch dieses frei verpachtet und besiedelt werden konnte. Zwei Jahre später stellten die ersten Siedler einen Antrag auf „Nutzbarmachung eines Stück Heidlands“ in Erbpacht, wodurch die Besiedlung von Moordorf begann.

Armut und Vorurteile
Kirche in Moordorf vor 1903 ©Gemeinfrei
Kirche in Moordorf vor 1903

Die preussische Regierung überliess die Siedlung jedoch mehr oder weniger sich selbst. Hier geschah die Besiedlung unvorbereitet, im Gegensatz zu anderen Fehngebieten wurden in Moordorf keine Gräben zur Entwässerung gebaut, welche eigentlich für eine zügige und erfolgreiche Kultivierung des Landes dringend notwendig waren. Des Weiteren wählte die Regierung die Siedler weit weniger sorgfältig aus als Anderorts. So siedelten sich viele mittellose Tagelöhner und im Ackerbau unerfahrene Soldaten an. Ein weiterer erschwerender Punkt war die Grösse der einzelnen Pachtgrundstücke, die kaum ausreichten um die Siedler zu ernähren. Der ohnehin schon zu geringe Boden war durch die Brandrodung bald ausgelaugt und brachte keine ertragreichen Ernten hervor. Ein schweres Los für die Bewohner Moordorfs, doch für die preussische Regierung ein lohnendes Geschäft. Sie hatten geringe Investitionskosten, da sie nur wenig in Infrastruktur investierten und der Zustrom der siedlungswilligen, oft auch mittellosen Menschen nicht abriss. Die Missliche Lage der Moordorfer änderte sich auch nicht so schnell. Der Ort war Kinderreich, die trotz Schulpflicht und bereits seit 1777 existierendem Schulgebäude keine gute Schulbildung erwerben konnten. Viel zu oft mussten die Kinder in ihren Familien helfen, gingen betteln und kämpften schlicht gegen die Armut.

© Matthias Süßen - Lehmhütte - https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4313016
Matthias Süßen – Lehmhütte

Zu dieser Zeit konnten die Moordorfer nicht nur an ihren einfachen Lehmkaten, die meist nur aus einem Wohnraum und einem Stall bestanden, erkannt werden, sondern auch an ihrer Kleidung. Gerade durch dieses Erscheinungsbild wurden einige der noch heute gängigen Gerüchten geprägt, die jedoch von Historikern wiederlegt werden konnten. So wurde Moordorf bald zu einer der bevölkerungsreichsten Moorkolonien, war jedoch gleichzeitig auch die ärmste. Leichter wurde es für die Moordorfer erst, als 1870 begonnen wurde, den Abelitz-Moordorf-Kanal auszuheben. 1885 begannen die Arbeiten an dem zweiten Kanal, der durch Moordorf führt: Der Ringkanal. Ausserdem wurde Moordorf 1883 an das öffentliche Nah- und Fernverkehrsnetz angeschlossen, als die Bahnschienen nach Aurich gelegt wurden.

Moordorf während des 2.Weltkriegs
Arend Lang
Arend Lang

Trotz dieser grossen Verbesserungen in der Infrastruktur waren die Tage der sozialen und finanziellen Probleme für Moordorf noch nicht vorbei. Die NS-Propaganda verbreitete die Ansicht, dass Moordorfer arbeitsscheues, asoziales, minderwertiges und vorbestraftes Gesindel sei. Moordorf galt als kommunistische Hochburg. Bei den Gemeinderatswahlen 1933 erhielt die linke KPD noch fast die Hälfte der Sitze und der Gemeindevorstand der KPD wurde in den Kreistag gewählt. Nur durften die Vertreter der KPD nach der Machtergreifung Hitlers nicht mehr in den Gemeinderat eintreten und wurden verleumdet. Die seit Jahrzehnten bestehenden Vorurteile gegenüber Moordorf erwiesen sich hierbei als wahre Goldgrube. Im Laufe der Herrschaft der Nazis wurden diese Vorurteile so verstärkt, dass das sozial schwache Moordorf schliesslich als eine „Landplage, die die ganze Umgebung verpestet“ galt und als Beispiel dafür herangezogen wurde , dass asoziales Verhalten erblich sei.1940 reichte ein Auricher Arzt zu diesem Thema sogar eine Dissertation in Hamburg ein. 1937 wurde schliesslich das Gesundheitsamt Aurich beauftragt, eine Lösung des „Problem Moordorf“ zu finden und liess nachweisslich bis 1943 59 Personen in Moordorf zwangssterilisieren. Als Grundlage hierfürdiente das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“.

Nachkriegszeit und starke Veränderung des Dorfes
Schild - BGM.-Lüdgen-Platz ©ImRegenTanzen
ImRegenTanzen

Nach dem Krieg hatte auchMoordorf viele Verluste zu beklagen. In etwa jeder dritte Mann aus Moordorf verlor im Krieg sein Leben. Die Gemeinde zählte immer noch zu den ärmsten in Niedersachsen und durch eine unsichere politische Situation, da es in den folgenden 13 Jahren 12 verschiedene Bürgermeister gab, bestand auch kaum Hoffnung auf Hilfe aus dieser Richtung. Erst unter Richard Lüken, dem Bürgermeister, der sein Amt 1959 antrat, gab es Stabilität in der Politik und die Erfolgsgeschichte Moordorfs konnte schliesslich endlich beginnen.

©ImRegenTanzen
ImRegenTanzen

Mehrere Geschäfte siedelten sich in Moordorf in den 50er,60er und 70er Jahren an. Die Eröffnung des VW-Werks in Emden (1964) brachte die grössten Veränderungen, weil es für mehr als ein Viertel der Bewohner Moordorfs Arbeit brachte und sich somit auch deren Lebensstandard entscheidend verbesserte. Auch wenn sich noch immer zu dieser Zeit einige Gerüchte (z.B. der Name „Dorf der fliegenden Messer“) hartnäckig hielten, arbeitete Moordorf stetig weiter an sich. Ein Meilenstein war 1996 die Eröffnung eines Markplatzes, der neben grosszügigen Parkmöglichkeiten Ladenfläche für 14 neue Geschäfte bot und so zu einem Treffpunkt in der Region wurde, an dem eingekauft, aber auch gemütlich gegessen und getrunken, werden kann.

Was das Dorf sympathisch macht ist, dass sie nieaufgegeben haben und es trotz all dieser erschwerten Bedingungen geschafft haben, sich stetig zu vergrössern und sich so attraktiv zu machen, dass neue Baugebiete gefragter sind als je zuvor und sie dennoch die eigene Geschichte nicht verdrängen oder vergessen.

– Silke Gastmann –
Quellen

https://de.wikipedia.org/wiki/Moordorf_(Ostfriesland) (Aufgerufen am 13.06.2017)

http://www.flurnamen-ostfriesland.de/sitemap/detail/Moordorf/Schwarzer+Weg_083088 (aufgerufen am 13.06.2017)

http://gedenkstaettesteinhof.at/en/exibition/05-selection-and-public-welfare

250 Jahre Moordorf, Sonderbeilage Festwoche vom 11 bis 18. Juni 2017 Heimatblatt, Sonntagsblatt

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